Noch nie gab es im Aargau so viele Traktoren und so wenige Bauernhöfe: Wie passt das zusammen?

Rein rechnerisch besitzt jeder Bauernhof im Aargau vier Traktoren. Vor 20 Jahren lag dieses Verhältnis noch bei 2,6 Traktoren pro Hof. Geht es den Bauern also finanziell viel besser als angenommen? Bauernverbandspräsident Christoph Hagenbuch relativiert.

25. März 2024

Das Symbol der Bauernproteste ist grün, drei Meter hoch und etwa fünf Tonnen schwer: der Traktor. In ganz Europa blockierten frustrierte Landwirte mit ihren rollenden Kolossen Autobahnen oder demonstrierten vor Regierungsgebäuden. Die Welle hat in den vergangenen Wochen auch die Schweiz erfasst. Im Februar fand im Aargau etwa eine Sternfahrt mit rund 60 Traktoren statt. Im Gegensatz zum Ausland blieben solche Protestfahrten hierzulande bisher friedlich, von Strassenblockaden sieht man gezielt ab.

Dabei wäre zumindest in der Theorie das Potenzial für Blockaden gross – auch im Aargau. Ein Blick in die Statistik zeigt: Noch nie gab es im Kanton so viele Traktoren wie heute. 11’841 sind es genau. Das sind fast 1500 Stück mehr als noch vor 20 Jahren.

Im gleichen Zeitraum hat sich aber die Anzahl der Landwirtschaftsbetriebe stark verringert. 2002 gab es noch über 4000 Betriebe im Kanton, 2022 waren es bereits unter 3000. Oder anders ausgedrückt: Während in den letzten 20 Jahren ein Viertel der Betriebe verschwunden ist, hat die Anzahl Traktoren um 14 Prozent zugenommen. Gleichzeitig ist die landwirtschaftlich nutzbare Fläche im Aargau um etwa 2,5 Prozent geschrumpft.

Verteilt man die Anzahl der Traktoren (knapp 12’000) auf die noch übrigen Betriebe (knapp 3000), ergibt das im Schnitt vier Traktoren pro Bauernhof. Vor 20 Jahren lag dieses Verhältnis bei 2,6 Traktoren pro Betrieb. Der Aargau liegt mit einem Verhältnis von vier klar über dem Schweizer Schnitt. Wie die «NZZ am Sonntag» kürzlich ebenfalls ausrechnete, sind es landesweit nur etwa drei Fahrzeuge pro Hof (147’000 Traktoren zu 48’000 Betrieben).

Zudem werden die modernen Traktoren tendenziell grösser, schwerer und damit auch teurer. Diese Zahlen könnten die Vermutung nahelegen, dass es den Aargauer Bauern heute finanziell gar nicht so schlecht gehen kann. Wie sonst lässt sich diese Zunahme erklären? Und braucht tatsächlich jeder Betrieb vier Traktoren oder werden sie bloss als Statussymbol angeschafft?

Weniger, aber viel grössere Betriebe

Für Christoph Hagenbuch, Präsident des Aargauer Bauernverbands, ist diese Bezeichnung verfehlt. «Es gibt sicher Leute, die das als Statussymbol sehen. Aber wenn jemand zwischen 50’000 und 250’000 Franken für eine Maschine ausgibt, hat man sich das gut überlegt und haargenau ausgerechnet.»

Christoph Hagenbuch, Präsident des Aargauer Bauernverbands und SVP-Grossrat.
Bild: Andrea Zahler

Auf die Frage, wie er sich die steigende Traktorenanzahl erklärt, sagt er: «Zuerst einmal muss man sehen, dass die Betriebe immer grösser werden. Früher haben viel mehr Betriebe die etwa gleich grosse Gesamtfläche wie heute bewirtschaftet. Je mehr Hektaren ein Betrieb aber heute beackern muss, desto eher benötigt er einen zusätzlichen Traktor.»

Tatsächlich gab es im Aargau vor zwanzig Jahren weitaus mehr kleinere Höfe. Besonders augenfällig sind die mittelgrossen Betriebe mit einer Fläche von 10 bis 20 Hektaren. Ihre Anzahl hat sich zwischen 2002 und 2022 halbiert. Die Menge der Grossbetriebe mit über 50 Hektaren hat sich in diesem Zeitrahmen derweil verdreifacht.

Noch entscheidender für die zunehmende Anzahl Traktoren ist für Hagenbuch aber ein anderer Grund: Die Traktoren würden stärker beansprucht werden als früher. Das hänge etwa damit zusammen, dass aufgrund der veränderten Essgewohnheiten der Gemüseanbau im Aargau zugenommen habe. «Im Gegensatz zum Getreide kann auf derselben Fläche Gemüse zwei- bis dreimal pro Jahr angebaut und geerntet werden», so der Bauernverbandspräsident. «Das führt zu viel mehr Traktoreinsätzen.»

Wegen strengerer Vorschriften und dem Trend zur Biolandwirtschaft würden heute zudem weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt als noch vor 20 Jahren. «Unkraut wird nun vermehrt mechanisch mit entsprechendem Gerät bekämpft. Also sind auch hier die Traktorenstunden gestiegen», so Hagenbuch.

Hälfte der Aargauer Traktoren sind Oldtimer

Grössere Höfe und stärkere Auslastung sind aber nicht die einzigen Gründe dafür, dass es im Aargau immer mehr Traktoren gibt. Aus den Bestandeszahlen geht nur hervor, wie viele Traktoren insgesamt eingelöst sind. Wie alt die Traktoren sind und ob sie überhaupt noch benutzt werden, darüber sagt die Zahl nichts.

Einen Anhaltspunkt bietet der Blick auf die Statistik, die das Jahr der 1. Inverkehrsetzung angibt. Demnach wurden rund die Hälfte der Aargauer Traktoren vor 1990 erstmals eingelöst und sind heute über 30 Jahre alt – viele Oldtimer also.

Doch auch diese Modelle werden noch immer genutzt. «Eine so alte Maschine zu verkaufen, macht finanziell keinen Sinn, weil man dafür häufig nur noch den Alteisenpreis erhalten würde. Deshalb behalten viele ihren alten Traktor, wenn sie einen neuen kaufen», so Hagenbuch. Man könne im Gegenteil froh sein, wenn in strengen Betriebsphasen ein weiteres Fahrzeug zur Verfügung stehe.

Hagenbuch erklärt das am Beispiel seines eigenen Familienbetriebs in Oberlunkhofen: «Von unseren vier Traktoren benötigen wir meist nur die drei neueren. Der vierte ist ein Oldtimer und auch ein bisschen Hobby. Aber jedes Jahr gibt es sicher zwei Wochen, wo ich froh um ihn bin. Etwa wenn es nach langen Regenphasen wieder möglich ist, aufs Feld zu fahren, und alle drei Haupttraktoren gleichzeitig im Einsatz sind. Um die angefallenen Arbeiten nachzuholen, ist dann eben auch der Oldtimer nötig.»

Traktor-Sharing statt Kauf?

Für den Präsidenten des Aargauer Bauernverbands sind die vielen Traktoren damit weitgehend erklärbar. Eine Studie des Bundesrates über die bäuerlichen Einkommen stellte jedoch fest, dass gerade die Höfe mit den niedrigsten Arbeitseinkommen deutlich überkapitalisiert seien. Im Verhältnis zu Fläche und Tierbestand hätten diese oft viel in Maschinen und Gebäude investiert. Um dem entgegenzuwirken, schlägt der Bericht unter anderem vor, dass vermehrt überbetrieblich in Maschinen investiert werden soll. Also weniger «jedem Hof seine Maschine» und mehr «Traktor-Sharing».

Ein Konzept, das besonders bei den Mähdreschern verbreitet ist. «Da setzen viele Bauern schon heute auf Lohnarbeiter», so Hagenbuch. Auch das Traktor-Sharing sei generell sinnvoll, er selbst leihe seine Traktoren regelmässig aus oder miete bei Bedarf von Kollegen dazu.

Dennoch sieht er gewisse Grenzen: «Im Winter oder wenn es lange regnet, kann man mit den Traktoren nicht auf die Felder. Auch lärmende Nacht- oder Wochenendfahrten werden von Anwohnenden immer weniger gern gesehen.» Wenn also Wetter und Tageszeit passen, müssten alle Landwirte ihre Arbeiten praktisch gleichzeitig erledigen. «Wenn man dann keinen eigenen Traktor hat, wird’s schwierig.»

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