Egal, ob Knochen richten, Kinder trösten oder Lawinen sprengen: Pistenpatrouilleure sind im Winter stark gefordert. Eine von ihnen ist die 29-jährige Katja Keller aus Herznach. In den Bündner Bergen hat sie ihre erste Saison absolviert.
29. März 2024
Bilder: Adrian Kamber
Es nützt nichts. Kaum aufgetragen, trocknet der letzte Rest der Pomade auf ihren Lippen bereits wieder aus. Sie sind spröde und aufgeplatzt. Der Hautton: unregelmässig, um die Augen deutlich heller als auf den mit Sommersprossen übersäten Wangen. Und über ihren Fingernägeln ist die Haut beschädigt oder eingerissen.
Es ist ein Gesicht, wie es nur ein Winter am Berg malen kann. Gezeichnet von Sonne, Wind und Schnee. Wie auch die Hände, die täglich anpacken müssen. Die manchmal beruhigen oder Befehle verdeutlichen können. Hände, die Leben retten.
Es sind Hände und Gesicht von Katja Keller, einer Pistenpatrouilleurin.
Wenn die junge Aargauerin von ihrem neuen Job erzählt, strahlt sie gefühlt vom Weisshorn bis nach Arosa: «Es ist eine Riesenfreude, hier auf dem Berg arbeiten zu dürfen.» Vergangenen Dezember begann die 29-Jährige bei der Arosa Bergbahnen AG ihre erste Saison als Pistenpatrouilleurin.
Jetzt, über 40 Einsätze, einige gebrochene Arme, noch mehr verdrehte Knie und unzählige getrocknete Kindertränen später, sagt sie: «Es ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Der Einstieg war zwar streng, aber je besser ich mich hier auskenne, desto mehr Spass macht es auch.»
Ski fuhr sie schon immer gerne. Die gelernte Verkäuferin, die bisher in Zeihen als Unterhaltsgärtnerin arbeitete, sagt: «Ich habe lange überlegt, was man in einem Skigebiet machen könnte. Eine Freundin hat mich auf die Stelle als Patrouilleurin im Skigebiet Arosa-Lenzerheide hingewiesen und mich ein wenig gepusht, mich hier zu melden.» Es war die Gelegenheit, sich wieder einmal selbst herauszufordern.
Stofftiere im Erste-Hilfe-Rucksack
Kellers neuer Job ist kein einfacher: An Pistenpatrouilleure werden hohe Anforderungen gestellt. Neben einer medizinischen Vorbildung (Ersthelferkurs, Umgang mit Defibrillator) gehören auch eine starke Physis sowie sehr gute Kenntnisse im Ski- und Tiefschneefahren dazu. Wer zur zweiwöchigen Ausbildung antreten will, muss bei der Eintrittsprüfung beweisen, dass man fähig ist, in 60 Minuten 500 Höhenmeter mit Tourenski zu erklimmen oder einen voll beladenen Rettungsschlitten in steilem Gelände den Berg hinunter zu manövrieren.

Das Wichtigste am Beruf ist aber der Umgang mit den Verunfallten. «Mein Spezialgebiet», fügt Keller schmunzelnd an. Vielleicht komme es ja daher, dass sie zusammen mit zwei jüngeren Schwestern aufgewachsen sei. Als Patrouilleurin trifft sie bei der Arbeit nun auf alle möglichen Arten von Menschen: Kinder, Jugendliche, Senioren, Angetrunkene, Weinende, vor Schmerzen Schreiende.
Zuerst müssen die Verunfallten beruhigt und die Verletzungen untersucht werden. Wenn «Arosa 9», wie Keller im Teamfunk heisst, zum Einsatz gerufen wird, ist aber auch Improvisationstalent gefragt. Etwa wenn sich ein Kind verletzt hat und die Eltern sich vor lauter Aufregung nicht mehr beruhigen können. «Dann hilft es, wenn ich sie in die Bergungsarbeiten einbinde und ihnen zum Beispiel sage, sie sollen die Unfallstelle weiter oben markieren oder andere Skifahrer warnen. So sind sie beschäftigt», erklärt Keller.


Apropos Kinder: Für sie hat die Herznacherin ein besonderes Herz. In ihrem Erste-Hilfe-Rucksack hat sie zwischen all den Pflastern, Verbänden, Armschienen und Wärmepacks immer auch zwei kleine Stofftiere dabei. «Daran können sich die Kinder festhalten, es lenkt sie ab», sagt Keller.
Auch emotionale Belastbarkeit ist nötig
Die Patrouilleure werden bei ihren Einsätzen nicht nur physisch gefordert, sondern auch emotional. «Kinder tun mir jeweils am meisten Leid,» sagt Keller. «Etwa der Junge kürzlich, der so starke Schmerzen im Bein hatte, dass er trotz gutem Zureden den Skischuh nicht ausziehen konnte.»
Es ist eben nicht immer damit getan, einen Patienten zu versorgen und zum wartenden Krankenwagen im Dorf zu bringen. «Manche Fälle beschäftigen mich auch ein, zwei Stunden danach noch», so die Patrouilleurin.
Über 60’000 Personen verletzen sich in der Schweiz jedes Jahr beim Schneesport. Verdrehte Knie oder gebrochene Handgelenke gehören noch zu den harmloseren Verletzungen. Laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung sterben im Schnitt jährlich fünf Menschen bei Unfällen auf der Piste. Deutlich mehr sind es abseits davon. Bei Lawinenniedergängen sind allein diesen Winter schon 14 Personen ums Leben gekommen.

In ihrer ersten Saison war Keller bisher nicht mit einer lebensbedrohlichen Verletzung konfrontiert. «Ich bin noch nicht an meiner Belastungsgrenze angelangt», sagt sie. «Da geht noch mehr.» Obwohl sie natürlich nicht hoffe, dass es dazu komme. Dennoch gehört es zum Beruf, jeden Tag darauf vorbereitet zu sein, Menschenleben retten zu müssen.
Eine weitere Saison ist schon geplant
Der Job belohne sie dafür auch mit einigen Höhepunkten. Etwa die erste Fahrt am frühen Morgen, wenn sie den Zustand der Piste kontrolliert. Und dabei ganz allein unterwegs ist. Oder die Lawinensprengungen, die sie manchmal begleitet.
Um künftig selbst Sprengungen vornehmen zu können, will Keller im kommenden Winter den entsprechenden Spezialkurs sowie den zweiten Patrouilleurkurs absolvieren. Denn eine zweite Saison möchte «Arosa 9» auf jeden Fall machen. Wie es danach weitergeht, weiss sie noch nicht. «Ich habe gelernt, dass man im Leben eh nicht zu weit vorausplanen sollte.»
Nach knapp fünf Monaten in den Bergen freut sie sich darauf, im Mai wieder als Gärtnerin «ins Aargauer Unterland» zurückzukehren. Dann werden die Skistöcke mit Heckenschere oder Rasenmäher getauscht.
Und der Teint wird ganz von alleine wieder gleichmässig.
