«Die Leute sind zu bequem»: Littering auf den Strassen kostet Aargauer Steuerzahler eine Million Franken pro Jahr

Mit einer zweitägigen Aktion macht die IG saubere Umwelt an der Raststätte Würenlos auf das Litteringproblem aufmerksam. Pro Kilometer Autobahn wird in der Schweiz nämlich jährlich eine Tonne Abfall weggeworfen. Das kann verheerende Folgen für die Umwelt haben – und die Reinigung geht ins Geld.

19. Juli 2024

Bilder: Severin Bigler

Cédric Québatte trägt einen Kampf aus, den er nicht gewinnen kann. Schon seit 18 Jahren versucht er es. Ein Sieg liegt aber nicht einmal in weiter Ferne, sondern ist ganz und gar unmöglich. Denn sein «Widersacher» ist überall und kann zu jeder Tageszeit zuschlagen. Trotzdem kämpft Québatte an vorderster Front. Es ist ein Kampf gegen die Unachtsamkeit der Leute. Gegen das Wegwerfen von Zigarettenstummeln, Sandwichverpackungen und Bierdosen. Oder einfach: gegen das Littering.

Pro Autobahnkilometer wird schweizweit jedes Jahr eine Tonne Abfall gelittert. Dieser Müll verunreinigt Boden, Pflanzen und Gewässer. Mensch und Tier können sich an scharfen Gegenständen verletzen. Beim Mähen von Feldern entstehen aus Abfällen spitze Teile. Werden sie von Kühen gefressen, kann das zu inneren Verletzungen und sogar zum Tod führen. Gemäss Bundesamt für Umwelt belaufen sich die Reinigungskosten landesweit auf jährlich 200 Millionen Franken.

TeamleiCédric Québatte, Teamleiter der IG saubere Umwelt.

Um dafür zu sensibilisieren, führt das Schweizer Kompetenzzentrum gegen Littering, die IG saubere Umwelt, landesweit Aktionen durch. Diesen Freitag und Samstag ist Teamleiter Cédric Québatte zusammen mit drei Teammitgliedern an der Raststätte Würenlos an der A1 unterwegs. «Wir sind hier, um die Menschen anzusprechen und auf das Problem aufmerksam zu machen», sagt Québatte. «Wenn sie erfahren, wie viel Müll gelittert wird, sind die meisten schockiert.»

Auf einem grossen Plakat können die Passanten ein Statement und ihre Unterschrift hinterlassen. Eine Art «moralischer Vertrag mit der Umwelt», wie Québatte sagt.

Autofahrer schreiben Statements gegen Littering auf ein Plakat.

Das sind die Littering-Hotspots im Aargau

Der Zeitpunkt für die Standaktion ist nicht zufällig gewählt. Im Sommer und insbesondere in der Ferienzeit fällt wegen des erhöhten Verkehrsaufkommens besonders viel Abfall an. Das bestätigt auch Halil Yildiz, Standortleiter Schafisheim bei der Nationalstrassen Nordwestschweiz AG. Die Firma ist für den betrieblichen Unterhalt der Nationalstrassen im Aargau, in Solothurn und beiden Basel zuständig.

Selbst wenige Meter neben dem Mülleimer entdeckt IGSU-Botschafter Philippe Frei Abfall.

«Für die gesamten Grobreinigungsarbeiten in der Nordwestschweiz werden im Durchschnitt pro Jahr ca. 4200 Stunden aufgewendet», schreibt Yildiz. Die Unterhaltsfirma hat letztes Jahr 368 Tonnen Siedlungsabfälle von Rastplätzen und Böschungen geholt. «Generell ist das meiste Littering eindeutig im Bereich der Autobahnanschlüsse zu finden», so Yildiz. Im Aargau sind dies die Verzweigungen Rothrist, Oftringen, Aarau Ost und Wettingen sowie auf der A3 die Verzweigung Brugg.

Zwei Drittel der gelitterten Abfälle in der Schweiz sind Zigarettenstummel.

Betrachtet man das gesamte Aargauer Strassennetz, kommen noch einige Stunden an Reinigungsarbeiten dazu. Gemäss dem Departement Bau, Verkehr und Umwelt führen Littering und Abfallentsorgung jedes Jahr zu einem zusätzlichen Reinigungsaufwand von zirka 12’000 bis 13’000 Arbeitsstunden. Das sind Mehrkosten von über einer Million Franken für die Aargauer Steuerzahlenden.

Warum nicht mehr Litteringbussen?

Wer im Aargau achtlos Müll wegwirft, kann von der Polizei mit einer saftigen Busse von 300 Franken bestraft werden. Im März präsentierte der Regierungsrat in einer Antwort auf einen Vorstoss von Grossrat Hanspeter Budmiger (GLP) einige Zahlen dazu. In den ersten vier Jahren seit der Einführung des Bussenregimes 2020 wurden knapp 1500 Litteringbussen verhängt. Für die eine Hälfte ist die Kantonspolizei verantwortlich, für die andere sind es die insgesamt 15 Regionalpolizeien.

Dass es nicht mehr Bussen gebe, liege einerseits daran, dass Littering schwer zu beweisen sei und die Polizei eine Person auf frischer Tat ertappen müsse. Andererseits setze man bei der Polizei zuerst auf Dialog und fordere die Leute auf, den Müll ordnungsgemäss zu entsorgen, so der Regierungsrat in seiner Antwort. Erst wenn das nichts nütze, würde die Polizei mit einer Busse durchgreifen.

IGSU-TeIm Dialog: Cédric Québatte und Brigitte Hunziger vom IGSU-Team.

Québatte begrüsst das Aargauer Bussensystem: «300 Franken sind schon viel Geld für einen Zigarettenstummel. Noch höhere Bussen würden aber nichts bringen». Es reiche schon, dass die Vorstellung einer Busse in den Köpfen der Leute sei.

Dass Cédric Québatte seinen Kampf gegen das Littering nicht gewinnen kann, ist ihm bewusst. Trotzdem seien er und die Interessengemeinschaft erfolgreich. Denn: «Die Gesamtmenge an Litteringabfällen ist in den letzten Jahren mehr oder weniger stabil geblieben. Wenn man bedenkt, dass es immer mehr Menschen in der Schweiz gibt und dadurch mehr Abfall, ist das ganz klar ein Erfolg». Die Hoffnung, die Kurve irgendwann auch nach unten zu drücken, sei aber immer vorhanden, erklärt Québatte mit einem Lächeln.

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