«Komplette Sauerei»: Wie zwei Dauerbaustellen im Niederamt Anwohner und Gemeinden zur Verzweiflung treiben

Die Wohnungen der Überbauung «Im Bad» in Dulliken sind seit über zwei Jahren bewohnt. Doch das Gebäude wurde nie fertiggestellt, die Mängelliste ist lang und mangels Ansprechpersonen verwalten sich die Bewohnenden selbst. Auch in Niedergösgen schimmelt ein Rohbau vor sich hin. Hinter beiden Projekten steht die gleiche Bauherrschaft.

17. September 2024

«Es ist nicht zumutbar, auf dieser Baustelle zu leben. Eine komplette Sauerei ist das», sagt ein Bewohner. Jemand anderes meint: «Das ist ein Fass ohne Boden, niemand hat den Durchblick.» Und eine dritte Person erklärt enttäuscht: «Wir haben uns doch nur eine schöne Wohnung gewünscht und keinen jahrelangen Streit.»

Was die Bewohnerinnen und Bewohner eines Mehrfamilienhauses in Dulliken erleben, ist für Schweizer Verhältnisse gelinde gesagt erstaunlich. Sie möchten zwar nicht namentlich genannt werden, erzählen dieser Zeitung aber unabhängig voneinander davon, unter welchen Umständen sie in dem unfertigen Gebäude leben.

Zur Erinnerung: 2011 erfolgte der Spatenstich für die Überbauung «Im Bad». Geplant waren 21 Eigentumswohnungen in drei Gebäuden. Wie diese Zeitung berichtete, gab es auf der Baustelle aber immer wieder Unterbrüche und Baustopps. Grund dafür waren unter anderem Rechtsstreitigkeiten zwischen der Bauherrin und der beauftragten Baufirma.

Heute, 13 Jahre später, ist noch immer keine einzige Wohnung wirklich fertig. Zwar wurde ein Doppelgebäude mit 14 Wohnungen bereits hochgezogen, aber die beiden Attikawohnungen befinden sich seit geraumer Zeit im Rohbau. Vom dritten Gebäude steht bisher nur das Fundament. Der Rest des Grundstücks ist mittlerweile zur Biodiversitätsfläche mutiert.

Bewohnerschaft verwaltet sich selbst

Von den zwölf «bezugsbereiten» Wohnungen im Doppelgebäude sind derzeit sechs bewohnt. Anfang Jahr waren es noch elf. Seit Januar seien aber fünf Parteien wieder ausgezogen, wie die restlichen Bewohnenden erzählen. Auf die Frage, ob weitere an einen Wegzug denken, gibt man sich bedeckt.

Diejenigen, die bereits weg sind, hatten gute Gründe dafür. Wie mehrere Bewohnende übereinstimmend berichten, gibt es eine ellenlange Mängelliste für das Gebäude. Ein Beispiel: Weil die Regenabflussrohre nicht fertiggestellt wurden, floss das Wasser nicht sauber ab. Dies führte zu Schimmelbefall im Schlafzimmer einer Erdgeschosswohnung.

In diesem Pavillon wurden einst Verkaufsgespräche für die Eigentumswohnungen geführt. Bild: Adrian Kamber

Das Hauptproblem ist aber, dass es keine Verwaltung und keine Hauswartung gibt. In den über zwei Jahren, die das Gebäude nun schon bewohnt ist, hat sich die Bewohnerschaft daher selbst organisiert. Weil das Gras schon meterhoch stand, musste man selbst einen Rasenmäher anschaffen. Weil für den Aufzug kein Service-Abo gemacht wurde, habe man selbst einen Sicherheitscheck machen lassen. Und weil generell niemand für den Unterhalt zuständig ist, habe man schon mehrfach gemeinsame Arbeitstage rund um das Gebäude organisiert.

Bauherrin ist die IIB Immobilien AG. Als Verwaltungsrat mit Einzelunterschrift ist Viktor Sauter eingetragen. Der Treuhänder ist im Verwaltungsrat mehrerer Immobilienfirmen sowie Präsident der Rechnungs- und Geschäftsprüfungskommission in Zollikon. Weder für die Bewohnerinnen und Bewohner der Überbauung noch für diese Zeitung ist er erreichbar. Auf einen schriftlichen Fragenkatalog reagierte Sauter trotz angemessener Frist nicht.

Da die Bewohnerinnen und Bewohner des Gebäudes laut eigenen Angaben nie einen Kaufvertrag erhalten haben, den man guten Gewissens hätte unterschreiben können, sind sie bis heute nicht Eigentümer ihrer Wohnungen. Bis auf eine Reservationszahlung von 15’000 bis 20’000 Franken, die Stromrechnung und die Kosten für die selbst gemachte Verwaltung habe man nie etwas bezahlt.

Gemeinde wollte Baubewilligung wieder entziehen

Die ewige Baustelle ist auch der Gemeinde ein Dorn im Auge. «Aus Sicht der Gemeinde ist die Situation leider nach wie vor unverändert», sagt Gemeindeschreiber Michael Steiner auf Anfrage. «Natürlich ist das nicht der Zustand, den wir uns wünschen; wir nehmen die Unzufriedenheit der Bewohnerinnen und Bewohner und aus der Anwohnerschaft wahr.» In den vergangenen eineinhalb Jahren habe man die Bauherrschaft mehrfach auf brieflichem Weg versucht zu erreichen, aber nie eine Antwort erhalten.

Michael Steiner, Gemeindeschreiber Dulliken.
Bild: zvg

Nicht bekannt war bisher, dass die Gemeinde vor einigen Jahren selbst aktiv wurde in der Sache. Ursprünglich sollte die Überbauung bis Ende 2014 fertig sein. Da dies auch Jahre später nicht der Fall war, zog die Gemeinde die Bauherren vor Gericht, um ihnen die Baubewilligung zu entziehen. Gemäss Paragraf 10 der kantonalen Bauverordnung erlischt die Bewilligung, wenn nicht innert zwei Jahren mit dem Bau begonnen oder ein begonnener Bau nicht «innert nützlicher Frist» beendet wird.

Letzteres versuchte die Gemeinde 2018 vor Verwaltungsgericht geltend zu machen, wie Gemeindeschreiber Steiner erklärt. Es sei um die Frage gegangen, ob die gesetzliche Anforderung zur Fertigstellung des Bauvorhabens «innert nützlicher Frist» noch erfüllt sei. «Das Gericht entschied damals, dass dies der Fall sei», so Steiner. Somit unterlag die Gemeinde vor dem Verwaltungsgericht. Da er selbst damals noch nicht bei der Gemeinde Dulliken arbeitete, kann Steiner nicht mehr zum damaligen Verfahren sagen. Das Urteil wurde nicht an die nächste Instanz weitergezogen.

Auch in Niedergösgen tut sich nichts

Wie diese Zeitung letztes Jahr aufdeckte, existiert in Niedergösgen ebenfalls eine Dauerbaustelle – mit Verbindungen zum Fall Dulliken. Inmitten eines belebten Wohnquartiers an der Aare schimmelt ein fast fertiger Rohbau nun schon seit Jahren vor sich hin. Der Spatenstich zum Gebäude an der Inneren Kanalstrasse 18 erfolgte 2012. Beim Projekt mit dem Namen «Casa18» handelt es sich um ein Mehrfamilienhaus mit vier Eigentumswohnungen. Nachbarn bezeichnen den Bau wahlweise als «Schandfleck» oder «Ruine».

So sah die Dauerbaustelle in Niedergösgen 2023 aus. Der einzige Unterschied heute: Das blaue Schild, das die Wohnungen anpries, wurde entfernt. Bild: Bruno Kissling (13. 9. 2023)

Das Grundstück gehört der Schweizerhof Immobilien AG mit Sitz im luzernischen Ebikon. Einziger Zeichnungsberechtigter ist hier – wie in Dulliken – Viktor Sauter. Ursprünglich hätten die Wohnungen 2015, dann 2017 und schliesslich 2020 bezugsbereit sein sollen. Jedenfalls verkündete das ein grosses Panel, das noch 2023 auf dem Grundstück stand. Doch auch auf dieser Baustelle hat sich seither nichts getan. Mit einer Ausnahme: Das Werbepanel wurde mittlerweile entfernt.

Die Anwohner haben unterdessen schon fast die Hoffnung aufgegeben, dass es beim Rohbau noch weitergehen könnte. Man schwankt zwischen Wut, Enttäuschung und Resignation. Da das Grundstück und das Gebäude nicht abgesperrt sind, würden sich immer wieder Kinder und Jugendliche dort herumtreiben. Zudem werde das Grundstück durch die offene Garage gerne als Abkürzung missbraucht, um ohne Umweg ins Wohnquartier oder an die Aare zu gelangen.

Ein Anwohner berichtet, dass sich im Rohbau auch Vögel eingenistet hätten. Schädelknochen und Federn würden davon zeugen.

Weiter soll in der Tiefgarage der bereits gelieferte, aber noch in Einzelteile zerlegte Aufzug stehen. Die Teile hätten unterdessen aber Rost angesetzt. «Den neuen Lift kann man direkt wieder wegschmeissen», so der Anwohner. Zudem hätte es im Rohbau an verschiedenen Stellen bereits Schimmel und Moos, weil das Regenwasser auf den Balkonen nicht ablaufen könne und mittlerweile ins Gebäudeinnere gedrungen sei.

Schimmel im Gebäudeinnern. Bild: zvg

Gemeinde steckt im Dilemma

«Es ist eine verfahrene Situation», sagt Niedergösgens Gemeindepräsident Michel Flaig auf Anfrage. Des Öfteren würden sich Leute aus der Anwohnerschaft bei der Gemeinde über den Stand der Dinge erkundigen. Die Gemeinde Niedergösgen stehe zwar in Kontakt mit der Bauherrschaft, werde aber immer wieder vertröstet. «Gründe, warum es nicht weitergeht, hat man uns nicht genannt», so Flaig. «Ich gehe davon aus, dass es sich um ein Finanzierungsproblem handelt.»

Michel Flaig (FDP), Gemeindepräsident Niedergösgen.
Bild: Bruno Kissling

Wie in Dulliken sind auch hier der Gemeinde praktisch die Hände gebunden. Laut Flaig sei es zwar möglich, dass die Gemeinde der Bauherrschaft eine Frist setze, bis wann der Bau fertiggestellt sein muss. Falls diese Frist dann nicht eingehalten werde, könnte man die Baubewilligung nachträglich wieder entziehen.

«Aber was würde das bringen? Um diese Frist korrekt zu setzen, müssten wir eine Expertise machen lassen. Das kostet. Und dann hätten wir eine Dauerbaustelle ohne Baubewilligung, und die Fertigstellung kann nicht erfolgen, weil die Bewilligung fehlt», erklärt der Gemeindepräsident das Dilemma. Ohne Bewilligung könne man für die Bauruine zwar den Rückbau verfügen, aber da der Bau ja fast fertig sei, stelle sich die Frage der Verhältnismässigkeit.

Gibt es doch noch Hoffnung?

Laut verschiedenen Quellen soll es in der Vergangenheit mehrere Interessenten gegeben haben, die der Schweizerhof Immobilien AG das Land abkaufen und den Bau fertigstellen wollten. Dazu gehörte auch die Bürgergemeinde Niedergösgen, wie Präsident Patrick Friker bestätigt. Im Juli 2023 habe sich der Bürgerrat mit der Problematik der Bauruine auseinandergesetzt.

Für viele Anwohner ein «Schandfleck»: die Dauerbaustelle in Niedergösgen. Bild: Bruno Kissling (13.9.2023)

Friker schreibt auf Anfrage: «Es gab ein Telefon zwischen mir und einem Vertreter der Bauherrschaft. Mir wurde mitgeteilt, dass wir ein Angebot erhalten werden. Nachdem nichts gegangen ist, erfolgte ein zweites Telefonat. Bis heute ist jedoch bei der Bürgergemeinde kein Angebot eingegangen.» Sollte doch noch ein Angebot eintreffen, werde man den Preis durch Fachleute prüfen lassen und das Geschäft der Bürgergemeindeversammlung zur Genehmigung vorlegen.

Vielleicht tut sich in Niedergösgen aber schon vorher etwas. Laut Gemeindepräsident Flaig soll die Bauherrschaft nun angekündigt haben, dass noch diesen Monat eine Begehung auf der Baustelle stattfinde. Danach soll die Gemeinde schriftlich informiert werden, wie es weitergehe.

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