Wenn ein Teil der Dorfseele stirbt: Findet sich kein Nachfolger mehr, schliesst die Metzgerei Friedli im Februar die Türen

Knapp 100 Jahre betrieben drei Generationen der Familie Friedli in Kappel ihre Metzgerei. Das Geschäft läuft gut, aber nun könnte bald Schluss sein – die Suche nach einer Nachfolge gestaltet sich schwierig.

14. Oktober 2022

Bilder: Bruno Kissling

Rund 95 Jahren gibt es sie jetzt: die Metzgerei Friedli. Gelegen an der Mittelgäustrasse 53 in Kappel. Mitten im Dorf. Anziehungs- und Treffpunkt für Menschen aus nah und etwas ferner. Für spontane Laufkundschaft wie für jahrzehntelange Stammkunden gleichermassen da. Für Kunden, die nicht nur mit einer Wurst, sondern auch mit einem Lächeln auf den Lippen wieder gehen sollen. Das ist die Philosophie des Chefs.

Seit nunmehr 35 Jahren führt Hans Friedli zusammen mit seiner Frau Iris den Betrieb. Eröffnet wurde die Metzgerei 1927 von Grossvater Karl Friedli. Der übergab 1957 an seinen Sohn Hans Friedli senior. Wieder 30 Jahre später, 1987, übernahm dann der jetzige Chef Hans Friedli junior. Und der hat dieses Jahr das Pensionsalter erreicht.

«Ich habe den Kopf unter der Guillotine»

Wird es auch dieses Mal einen Nachfolger geben oder nicht? Diese Frage stellt sich bei ihm schon lange, aber nun bleibt nicht mehr viel Zeit. Denn Ende Februar 2023 will er definitiv das Metzgerbeil an den Nagel hängen. Dass die Nachfolge nicht von einer vierten Generation angetreten wird, war schon früh klar.

Die Tochter ist Fotografin und besitzt im selben Gebäude ein Studio, während die beiden Söhne in der IT-Branche tätig sind. Und das sei auch richtig so. «Wir haben unsere Kinder nie dazu gedrängt, unser Geschäft übernehmen zu müssen. Sie sollten das machen können, was ihnen am meisten gefällt», sagt Friedli. Seit Jahren ist er deshalb auf der Suche nach einem externen Nachfolger, der die Metzgerei nahtlos weiterführt.

«Ich habe den Kopf gerade wirklich unter der Guillotine», sagt Friedli lachend. «Aber noch klemmt sie.»

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Er ist noch immer offen für Übernahmeanfragen. Mit dem vorteilhaften Standort an der Hauptstrasse würde sich die Metzgerei auch als Zweit- oder Drittstandort für einen grösseren Betrieb eignen. Dieser könnte auch von der wertvollen Kundschaft profitieren. Sollte er aber niemanden mehr finden, bedeutet dies das Aus für die Kappeler Traditionsmetzgerei.

Kaum Nachfolger in Sicht

Die Nachfolgersuche ist ein Unterfangen, das in der heutigen Zeit immer schwieriger wird: Von Jahr zu Jahr werden es weniger, die eine Metzgerlehre abschliessen. Gerade einmal ein einziger Fleischfachmann und zwei Fleischfachassistenten schlossen dieses Jahr im Kanton ihre Ausbildung erfolgreich ab. Bei so wenig Nachwuchs ist klar, dass die Auswahl an potenziellen Nachfolgern verschwindend gering ist.

Erschwerend hinzu kommt, dass laut Friedli die heutigen Lernenden von Beginn an zu stark spezialisiert sind. Man kann nämlich die Lehre heute in drei verschiedenen Arbeitsbereichen absolvieren: der Fleischgewinnung (Schlachtung), der Verarbeitung und der Veredelung. Er meint:

«Bei grossen Industriebetrieben kann es in der Fleischgewinnung der Fall sein, dass ein Lehrling den ganzen Tag nur für das linke Hinterbein zuständig ist. Ein anderer dann für das rechte. So geht das Know-how für das grosse Ganze verloren, geschweige denn wissen sie, was es alles für das Führen eines eigenen Betriebs benötigt.»

Der Metzger und Psychiater ihres Vertrauens

Und wie geht einer, der sein Leben lang an Fleischtheken, Schlachtbänken und Gasgrills gestanden hat, mit seinem baldigen Ruhestand um? «Am meisten werde ich meine Kunden vermissen», sagt Friedli. Mit vielen hätten sich im Lauf der Jahre auch Freundschaften entwickelt. «Ich halte gerne einen kurzen Schwatz mit den Kundinnen und Kunden. Für manche bin ich sogar so etwas wie ihr Psychiater geworden.» Man kennt sich also gut im Dorf und darüber hinaus.

Denn Hans Friedli ist mit seinem Team oft auch im Catering-Service unterwegs. Rund einen Drittel seiner Arbeitszeit verbringt er so auf Festen und Geschäftsessen. Und das Geschäft mit dem Partyservice läuft gerade gut. Sehr gut sogar:

«Gerade erst war ich bei einem Tag der offenen Tür für 1600 Personen. Dort haben wir unter anderem einen 300 Kilo schweren Ochs am Spiess gebraten. Die Garzeit dafür beträgt rund 28 Stunden, dafür reicht er auch für 800 Leute.»

Seit der Aufhebung der Coronamassnahmen im Frühjahr werden wieder so viele Anlässe durchgeführt und nachgeholt, dass Friedli mit seinem Catering kaum mehr nachkommt: «Wir haben mehr Aufträge als je zuvor. Dieses Wochenende sind es sogar gleich sieben.»

Das Telefon kann ihm gestohlen bleiben

Auch für ihn und seinen Betrieb sei die Pandemie nicht einfach gewesen. «Aber der schweizerische Metzgerverband hat hier wirklich grossartige Arbeit geleistet.» Der Verband sei den Metzgern administrativ zu Seite gestanden und hätte sie mit vorbereiteten Formularen für Kreditgesuche und Kurzarbeitsentschädigungen unterstützt. «Nun zahle ich den Mitgliederbeitrag viel lieber als noch vor 10 Jahren», fügt er an.

Noch scheint die Vorstellung, dass Hans und Iris Friedli bald im Ruhestand sind, weit weg. So geschäftig geht’s noch zu und her. «Aber in der Zukunft können wir uns dafür um unsere Grosskinder kümmern und auch für mein Hobby, die Reiterei, wird mehr Zeit sein.» Davor gilt es aber bis im Februar noch das ein oder andere Abschiedsessen zu organisieren. «Und eines werde ich ganz sicher nicht vermissen: das ewig klingelnde Telefon.»

Hans und Iris Friedli.

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